Wir waren eine Vorzeigefamilie

Ich habe vor einiger Zeit mit einer Mutter gesprochen, deren Tochter an Magersucht erkrankt ist. Die Frau war emotional sehr belastet und aufgewühlt. Sie erzählte mir wie die Magersucht in ihre Familie kam und welche dramatischen Veränderungen seitdem ihr Familienleben prägen. Außer ihrer erkrankten Tochter gibt es weitere Kinder und einen Ehemann. Das Paar, beide Akademiker, haben sich immer eine glückliche Familie gewünscht und alles dafür getan. Besonders die Frau hat sehr viel Energie in die Erziehung ihrer Kinder und deren Ausbildung investiert. Für sie ist es sehr wichtig, dass sich alle gut verstehen und liebevoll miteinander umgehen. Gemeinsame Urlaube und viel gemeinsame Rituale gehören zum Familienalltag.  Wenn ein Familienmitglied Sorgen oder Probleme hat, ist sie die erste Ansprechpartnerin, weil sie immer die passende Lösung parat hat. Dann sagt sie sehr traurig zu mir:“ Weißt Du Michaela, wir waren hier in unserem Ort immer die Vorzeigefamilie. Die Familie, in der immer alles supergut lief. Die anderen haben uns oft deswegen beneidet“.

Was ist nur aus uns geworden?

Dieser Satz hat bei mir etwas ausgelöst. Ich wurde schlagartig an meine damalige Zeit erinnert. Ja, auch ich hatte damals diese Sätze gesagt. „Wir waren eine Vorzeigefamilie und was ist jetzt aus uns geworden?“ Ich war gedanklich schnell zurückversetzt und konnte selbst den damaligen Schmerz spüren. Ich fühlte Enttäuschung, tiefe Enttäuschung und Versagen. Wie war es möglich, dass in unsere perfekte Familie eine psychische Krankheit eingezogen ist? Und wieso habe ich es nicht bemerkt? Ich hatte doch immer alles im Griff. Diese Gedanken quälten mich besonders. Die, die für alles immer eine Lösung parat hatte stand nun vor ihrem persönlichen „Scherbenhaufen“ und hatte dieses Mal keine Idee, wie sie damit umgehen sollte. Ich fühlte mich der Situation ausgeliefert, ohnmächtig und hilflos. Aus heutiger Sicht betrachtet musste mir genau diese Situation passieren. Es musste so kommen, damit ich hinschaue und verstehe, dass das Leben so nicht funktioniert. Nicht für mich und auch nicht für meine Familie.

Mein Aufwachprozess hat 6 Jahre gedauert

Ich habe mich damals so sehr in meiner Enttäuschung und Ohnmacht verrannt, dass ich 6 Jahre damit beschäftigt war an der Seite unserer Tochter „ihre Magersucht zu bekämpfen“. Ich nahm sie in meinen Fokus und war unerschöpflich damit beschäftigt alles dafür zu tun damit SIE gesund wird. Als ich dann endlich begriff, dass es eigentlich um MICH ging und sie nur mein Spiegel war, hatte ich einen ganz anderen Blick auf unsere Situation

https://www.michaela-pukrop.de/magersucht-blog/deine-tochter-ist-dein-spiegel.html

Ich erkannte, dass meine „Vorzeigefamilie“ ein Konstrukt war, dass ich erschaffen hatte, damit ich mich über sie definieren konnte. Ich wollte, dass im Außen zu sehen ist, dass bei uns alles tiptop funktioniert und wir alle den höchsten Ansprüchen der Gesellschaft entsprechen.  Ich schuftete dafür Tag und Nacht. Im Beruf und Privat. Ich funktionierte nur noch und meine Familie mit mir. Selten widersprach mir jemand. Ich war das Vorbild für viele. Die größte Belohnung war, wenn mich jemand fragte „Michaela, wie schaffst Du das nur?“ Das ging runter wie Öl.

Ich habe mich über meine Familie definiert

Heute weiß, ich, dass ich mich damals über meine perfekte Familie definiert habe. Ich habe damit meine eigene Leere gefüllt. Meine Arbeit, mein Äußeres und meine Familie dienten mir, um mich innerlich sicher zu fühlen. Ich war damals eine sehr unsichere Frau, die Anerkennung und Liebe von anderen brauchte um sich sicher und gesehen zu fühlen. Ich hatte es nicht anders gelernt und außerdem lebte ich in einem Umfeld von Menschen, die innerlich genauso leer waren, wie ich. Alle übertrafen sich geradezu mit Dingen, oder mit Leistungen. Alle redeten über ihre Kinder. Über ihre großartigen Schulnoten oder sportlichen Erfolge. Eltern engagierten sich in Sportvereinen oder der Musikschule. Mir wurde damals über Nacht meine vermeintliche Sicherheit genommen. Meine Vorzeigefamilie im ursprünglichen Sinn existierte nicht mehr und mir wurde schlagartig meine innere Leere vorgeführt. Ich hatte keinen Einfluss mehr, mir wurde meine Macht entzogen und ich konnte mir erstmal nicht selbst helfen. Es gab den gewohnten „Strohhalm“ im Außen nicht mehr. Ich musste die Unsicherheit aushalten, ohne etwas kontrollieren zu können.

Innere Sicherheit

Ich habe die Challenge angenommen. Ich bin angefangen an meinen Themen zu arbeiten. Ich durfte mutig hinschauen, was mich blockierte und wie es dazu kam, dass ich so fühlte, handelte und mich selbst klein hielt. Ich habe erkennen dürfen, dass ich mehr bin als meine Leistungen und meine Familie. Ich habe den Weg zu mir angetreten, den Weg, der meine innere Leere füllte. Der Weg, der mich  das Fühlen lehrte. Ein Weg, der Annahme und Selbstliebe. Ein Weg zu meinem inneren Kern, meinem Selbst. Heute weiß ich, dass es darauf ankommt zu wissen, wer ich bin und was mich ausmacht und dass ich es annehmen kann. Sowohl meine lichtvollen Seiten aber auch meine Schattenseiten. Ich durfte mich kennenlernen und neu erfahren. Dafür bin ich heute von ganzem Herzen dankbar. Wäre unser Kind damals nicht an Magersucht erkrankt, würde ich mich immer noch über meine Familie definieren.
Danke meine liebe Tochter, dass Du Dich bereit erklärt hast mir die Augen zu öffnen.

Von Herzen Danke, dass Du diesen Artikel gelesen hast. Vielleicht hast Du Fragen, die Dich selbst betreffen oder meine Arbeit. Vielleicht brauchst Du Unterstützung bei der Umsetzung.  Du kannst mich über das Kontaktformular oder die Kommentarfunktion anschreiben oder meine Kanäle auf Social Media nutzen.


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Ich freue mich über jede Nachricht.
Herzlichst
Michaela
                                  

Deine innere Haltung ist der Schlüssel für einen leichten Umgang mit Deiner an Anorexie erkrankten Tochter

Ich habe so viele Jahre die gleichen Dramen erlebt, wie Du. Meine eigene Stimmung und Gemütslage wurden allein durch meine Tochter bestimmt. Fühlte sie sich schlecht, ging es mir schlecht. Fühlte sie sich noch schlechter, ging es mir noch schlechter. Je weniger sie aß umso größer wurden meine Ängste. Zeigte sie einen Anflug eines Lächelns, hüpfte mein Herz vor Freude. Hatte sie positive Erlebnisse und ließ mich daran teilhaben, dachte ich sofort, dass jetzt alles gut werden würde. Jahrelang war meine eigene innere Verfassung von ihr und ihrer Krankheit abhängig. Ich traute mich nicht etwas zu planen oder zu unternehmen, weil ich immer auf der Hut sein musste. Ich musste immer zur Stelle sein, um schnell unterstützen zu können. Ich wollte sie nicht allein leiden lassen. Frei nach dem Motto: Geteiltes Leid ist halbes Leid!

Ich fühlte mich wie ein Fähnchen im Wind

Ich passte mich stets ihr und ihrem Befinden an. All mein Tun war auf ihr Wohlbefinden ausgerichtet. Nicht, dass sie es eingefordert hätte. Nein, ich tat es aus einem inneren Drang und Verantwortungsgefühl heraus. Irgendein Teil in mir erwartete, dass ich mich für mein Kind aufopfere und mich dabei selbst vergesse. Unbewusst fühlte es sich nur auf diese Art und Weise richtig an. Ich war ihr stets zugewandt und dem Leben und meiner Familie abgewandt. Natürlich wollte ich es trotzdem allen anderen auch recht machen. Ich gab allen alles, was ich hatte, und trotzdem fühlte es sich so an, als wäre es nicht genug. Der innere Druck lastete sehr schwer in mir. Nicht nur einmal drohte ich an ihm zusammenzubrechen. Ich konnte nur die notwendigen Dinge erledigen. Freundschaften schliefen ein und gemeinsame Zeiten als Paar existierten nur als Wunsch in meinem Kopf. So war schnell abzusehen, dass auch dieser Lebensbereich auseinanderzubrechen drohte.

Ich änderte meine innere Haltung

Nach 6 Jahren ließ ich mich von einem Coach begleiten. Ich erkannte schnell, dass ich für mich und mein Lebensglück selbst verantwortlich bin. Und dass es meine Angelegenheit ist, wie ich mit der Situation, der Magersucht und meiner Tochter umgehe. Ich begriff endlich, dass ich sie für all mein Leid und die damit zusammenhängenden Umstände verantwortlich machte und dass auch mein Drang und das starke Verantwortungsgefühl für sie meinem Selbst entsprangen. Ich war für mein Wohl selbst verantwortlich! Nur ich selbst konnte es verändern! Wenn ich nicht an all dem Drama um mich herum zerbrechen wollte, musste ich es verändern. Ich wollte nicht mehr das Fähnchen im Wind sein! Ich wollte der Fels in der Brandung sein, der jedem Sturm standhält. So änderte ich mit seiner Unterstützung meine innere Haltung. Ich löste innere Themen und Blockaden auf und integrierte wunderbare Glaubenssätze, die mich immer mehr zu mir selbst führten. Es war ein Prozess, der mich auch an meine Grenzen brachte. Grenzen, die ich nie zuvor in meinem Leben gespürt habe. Ich begab mich in neue Ebenen meines Seins und wurde mir meiner selbst immer mehr bewusst. Ganz automatisch veränderte ich meine Haltung zu unserer Tochter und der Anorexie. Meine Worte und Taten hatten eine andere Energie. Bitten, betteln, schimpfen, drohen und strafen wurden überflüssig. Ich erkannte meine eigenen Grenzen und spürte, dass diese vom Außen akzeptiert wurden. Meine Veränderungen waren in all meinen Beziehungen spürbar. Freundschaften entwickelten sich neu und unsere Ehe lebten wir in einer nie zuvor dagewesenen Qualität. Mein Standing am Arbeitsplatz zeigte sich selbstbewusst, kompetent und nahbar. Mein Herz öffnete sich und ließ mich seit vielen Jahren endlich wieder wahre Liebe und Zuneigung mir selbst und anderen gegenüber spüren.

Die größte Veränderung erlebte ich mit unserer Tochter


Sehr schnell nachdem ich das Coaching begonnen hatte, schien unsere Tochter meine Veränderung wahrzunehmen. Sie spürte, dass ich die Opferrolle verlassen hatte und ihr mit einer anderen Haltung begegnete. Ich habe es geschafft bei mir zu bleiben und nicht, wie früher, in ihre Stimmungen einzusteigen und mitzuleiden. Ich war plötzlich innerlich stärker und gefestigter. Auch sie veränderte sich. Ganz langsam begann sie für sich und ihr Wohl zu sorgen. In kleinen und großen Schritten, immer weiter.  Ich konnte wieder lachen und Spaß haben. Ich konnte NEIN sagen und für mich einstehen. Ich hatte auf einmal mehr Zeit, die ich gerne und ganz entspannt mit unserer jüngeren Tochter verbringen konnte. Ich habe mich beruflich weiterentwickelt, in weitere Coachingausbildungen investiert und mich selbstständig gemacht. Ich spürte diesen Drang all meine Erfahrungen und Erkenntnisse an andere betroffene Mütter weiterzugeben. Es war ein inneres Feuer, dass sich entfacht hat. Es fühlte sich richtig an. Ich musste diesen Weg gehen und wurde von Klientin zu Klientin sicherer. Die Frauen zeigten mir, dass alles möglich ist, wenn wir uns darauf einlassen. Meine Erfolge sind ihre Erfolge. Ich feiere jede von ihnen.

Von Herzen Danke, dass Du diesen Artikel gelesen hast. Vielleicht hast Du Fragen, die Dich selbst betreffen oder meine Arbeit. Du kannst mich über das Kontaktformular oder die Kommentarfunktion anschreiben oder meine Kanäle auf Social Media nutzen. Ich freue mich über jede Nachricht.

Herzlichst
Michaela

 

 

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Kommentare

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Kommentar von Brigitte

Sehr spannend zu lesen. Danke für die Erinnerung, denn eigentlich ist die Lösung so einfach. Kläre deine inneren Themen und dass Außen wird folgen.

Antwort von Michaela Pukrop

Vielen Dank, liebe Brigitte.

Genauso ist es. Eigentlich ganz einfach.

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