"Wenn-Dann Gedanken"

Kannst Du Dich noch an die Zeit erinnern, als Du mit Deiner Tochter am Wochenende stundenlang Shopping warst? Ihr seid von Geschäft zu Geschäft gelaufen. Habt Euch die Arme mit Kleidungsstücken vollgepackt um sie dann in aller Ruhe Kleidungsstück für Kleidungsstück anzuprobieren. Ihr habt Euch vor dem Spiegel getroffen und Euch gegenseitig begutachtet. Ihr hattet eine Menge Spaß. Ihr habt gelacht, gescherzt und Euch sehr genau begutachtet. Zwischendurch seid ihr in einem Restaurant eingekehrt um Euch mit Leckereien zu stärken um dann mit vollen Bäuchen weiter zu gehen und die Angebote der restlichen Geschäfte unter die Lupe zu nehmen. Und zum Schluss gab es noch einen leckeren Espresso macchiato und ein Eis. Schwer beladen mit Shoppingbags und mit schmerzenden Füßen ging es dann total glücklich und zufrieden nach Hause, wo dann der Familie all die coolen Errungenschaften präsentiert wurden.
Oder…..
Es ist Samstag oder Sonntag Abend. Die ganze Familie kommt zusammen um gemeinsam ein besonderes Abendessen zuzubereiten. Jeder hat seine Aufgabe. Der Tisch wird schön gedeckt. Mit Servietten, Kerzen, Stielgläsern und Wein für die Eltern. Das Essen wird in Schüsseln und auf Platten angerichtet damit sich jeder nach Herzenslust bedienen und nachnehmen kann. Alle essen und erzählen. Es wird gescherzt und gelacht. Zum Abschluss wird noch ein gemeinsames Spiel gespielt oder gemeinsam ein Film angeschaut. Alle genießen das Zusammensein in der Familie und fühlen sich glücklich.
Diese Erlebnisse hatten wir früher, bevor die Essstörung in unser Leben kam. Vielleicht hast Du ähnliche Erinnerungen oder ihr habt ganz andere Dinge zusammen erlebt und genossen. Vielleicht coole Urlaube mit gutem Essen und unbeschwerten Momenten am Strand. Eine Pizza auf der Hand und ein Eis hinterher. Wir sind damals, wenn wir auf Reisen waren immer bei Mc Donalds eingekehrt. Es gab immer eine Juniortüte, Pommes und Burger. Für uns gehörte das damals zur Reise einfach dazu. Rast bei Mc Donalds. Oder zu einem Kinobesuch gehörte immer Popcorn und ein Softdrink. Ich könnte immer noch sehr viele Gelegenheiten aufzählen, die für uns als Familie obligatorisch und doch auch besonders waren. Zeiten, in denen die Familie gemeinsam etwas unternommen hat. So fühlte sich Familie an. Wir Eltern und unsere Kinder hatten ganz bestimmte Emotionen. Wärme, aufgehoben sein, beschützt sein, gesehen zu werden, Zusammengehörigkeit, geliebt zu werden und zu lieben, verantwortlich zu sein, Stolz und Freude, Spaß und Leichtigkeit. Momente zu schaffen, an die wir uns alle immer gerne erinnern.


Mit der Magersucht war das nicht mehr möglich

Plötzlich veränderte sich alles. Für uns alle. Die Krankheit hat das gesamte Familienleben dominiert. All unsere unbeschwerten Familienzeiten haben eine Schwere bekommen. Waren nicht mehr von Glück und Freude bestimmt. Alles wurde kompliziert, umständlich, traurig. Das gesamte Familienleben wurde um die Magersucht herum organisiert. Wir haben außen gelächelt und innerlich geweint. Ich bin mir sicher, dass Du immer noch ganz genau weißt wovon ich hier rede und wahrscheinlich siehst Du Dich gerade in genau dieser Situation wieder.


Wie aus dem Nichts sind plötzlich „Wenn- Dann Gedanken“ entstanden


Es war völlig klar, dass bestimmte Unternehmungen und Rituale nicht mehr durchführbar waren. Es machte einfach keine Freude mehr oder es war sooooo umständlich alles zu organisieren. Außerdem war unsere Tochter alles andere als eine Stimmungskanone im positiven Sinne. Depressive Stimmungsschwankungen und Traurigkeit prägten das Bild und ich stieg wie schon in vielen Blogartikeln erwähnt mit ein.  So entstanden die „Wenn Dann Gedanken“. Wenn sie endlich wieder zugenommen hat können wir wieder shoppen gehen. Wenn sie endlich wieder isst, können wir wieder gemeinsam in ein Restaurant gehen, Pizza auf der Hand essen und am Strand blödeln und Spaß haben. Und, und, und. „Wenn Dann“ bedeutete jedoch auch, dass tatsächlich unser gemeinsames Familienabenteuer nicht mehr zustande kommen wollte. Urlaube wurden mit Klinikaufenthalten abgestimmt oder sind ausgefallen. Wir alle waren irgendwie immer auf der Hut. „Wenn Dann“ Gedanken sind traurige Gedanken. Sie zeigen, was alles nicht möglich ist. Zeigen, dass ein fröhliches, unbeschwertes Familienleben an Bedingungen geknüpft ist. Nämlich die Bedingung, dass das Kind gesund wird. Und je länger die Erkrankung sich hinzieht um so trauriger sieht das Familienleben aus. Mit anderen Worten bedeutet das aber auch nur:


Wenn unsere Tochter gesund ist, dann dürfen wir Anderen wieder glücklich sein


Dann dürfen wir wieder unsere Leben leben, so wie wir es für uns geplant haben. Dann dürfen wir erst wieder bedingungslos glücklich sein. Nein, nein, nein!!! Heute weiß ich, dass das genau der falsche Weg ist. Jeder in der Familie hat das Recht auf Glück, Liebe, Spaß und Abenteuer. Wir als Familie haben zwar die Herausforderung mit unserer kranken Tochter doch kann sie, wie in vielen anderen Beiträgen bereits beschrieben, nicht gesund werden, wenn alle Familienmitglieder mitleiden und sich den Spaß versagen. Wenn alle leiden, verzichten und Rücksicht nehmen. Ich weiß, dass es elementar wichtig ist, weiterhin ein Familienleben mit Abenteuern zu spicken, einander Liebe zu schenken und Partys zu feiern. Es ist wichtig, das erkrankte Kind nicht „in Watte“ zu packen. Geschwister müssen ehrlich zueinander sein und dürfen sich zoffen. Eltern dürfen sich Auszeiten nehmen und die Kinder alleine lassen. Sie dürfen sich vergnügen und ausgehen. Freunde treffen und Ausflüge machen. Vielleicht sogar alleine in den Urlaub fahren.


Es ist so wichtig für Eltern sich die Zweisamkeit zu bewahren


Viele meiner Klientinnen haben, genau wie ich damals, die Verbindung zu ihrem Partner verloren. Die Paare haben sich „auseinandergelebt“. Sich nicht mehr wahrgenommen, nicht mehr gesehen. Ihre Verbindung war unterbrochen. Es war emotional einfach zu viel. Die Frauen haben sich nicht von den Emotionen des Kindes lösen können um sich ihrem Partner zuzuwenden. Soweit ich weiß hat sich bisher keine meiner Kundinnen von ihrem Partner getrennt. Durch die Arbeit an sich selbst ist es allen Frauen gelungen nach und nach den Fokus vom Kind zu nehmen. Sie erlauben sich wieder Freude und Leichtigkeit im Familienleben. Gönnen sich ME TIME und PAARZEIT. Sie leben wieder Rituale und besinnen sich wieder auf ein Leben voller Freude und Genuss.  Das Leben ist zu kurz für „Wenn - Dann“. Das Leben will in vollen Zügen gelebt und genossen werden.


Wie sollen unsere Töchter lernen das Leben wieder zu fühlen und in sich aufzunehmen wenn wir Eltern nicht als Vorbilder voran gehen?


Von Herzen Danke, dass Du diesen Artikel gelesen hast. Vielleicht hast Du Fragen, die Dich selbst betreffen oder meine Arbeit. Du kannst mich über das Kontaktformular oder die Kommentarfunktion anschreiben oder meine Kanäle auf Social Media nutzen. Ich freue mich über jede Nachricht.
Herzlichst
Michaela

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Kommentare

Ich freue mich auf eure Kommentare, eigene Erfahrungen und eventuelle Fragen!

Kommentar von Christina

Hallo Michaela!
Ich hab gerade Deinen neuesten Beitrag gelesen - und es ist mir schon fast unheimlich. Immer wieder hab ich das Gefühl, Du schreibst über mich und mein Leben. Deine Beiträge tun so gut - manche kann ich schon fast auswendig :-)

Antwort von Michaela Pukrop

Vielen Dank für Dein Feedback. Es ist für mich immer wieder eine Bestätigung, dass ich richtig liege mit der Annahme, dass die meisten Mütter tatsächlich die gleichen Herausforderungen haben.

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