Was sollen denn die Anderen von uns denken?

Vielleicht kennst Du das auch, dass Du Dinge tust, um bei anderen Menschen in einem guten Licht zu erscheinen. Andersherum unterlässt Du auch Dinge, die Dir eigentlich am Herzen liegen aus genau dem gleichen Grund. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass meine Eltern immer wieder zu mir gesagt haben, wenn ich nicht so war, wie sie mich sehen wollten: „Was sollen denn die Nachbarn von uns denken?“  Oder, dass alle Arbeiten, die draußen am Haus oder im Garten zu erledigen waren, immer ganz regelmäßig verrichtet wurden. Die Fenster waren immer geputzt, der Rasen tiefgrün und raspelkurz geschnitten und im Sommer blühten Unmengen Blumen in unserem Garten. Ich musste immer freundlich sein und Probleme wurden weggelacht. Ich habe nie erlebt, dass meine Eltern sich jemals richtig gestritten haben. Auch äußerlich musste ich einem bestimmten Bild entsprechen. Immer ordentlich, sauber und frisiert.

Man macht das so!

Ich habe das Bild der heilen Familie vorgelebt bekommen. Gemeinsame selbst gekochte Mahlzeiten, Sonntagsausflüge und regelmäßige Urlaube. Mein Vater war mehr als Vollzeit arbeiten, um Geld zu verdienen. Meine Mutter hat den Rest erledigt. Also eigentlich alles, bis sie später auch noch Teilzeit gearbeitet hat. Sie ist dabei regelmäßig über ihre eigenen Grenzen gegangen. Sie war oft müde und abgespannt. Sie konnte einfach nicht kürzertreten. Oder sich einmal Zeit nur für sich nehmen. Weil man das so macht. Gleichzeitig hat sie genau diese Erwartungen auch an uns gehabt. Wir mussten auch über unsere Grenzen gehen, durften nicht mal Fünfe gerade sein lassen. Weil man das so macht. Dieser „man“ hat eine sehr große Rolle in unserem Leben gespielt. Der „man“ hat mein Leben extrem bestimmt.

Doch wer ist dieser „man“ eigentlich?

Früher dachte ich, dass ist jemand, der immer perfekt ist. Heute weiß ich, dass es sich dabei immer um ein bekanntes Gesicht handelt. Unsere eigenen Eltern, die Nachbarin, die Freunde, die zu Besuch kommen, die Lehrerin unserer Kinder, der Arbeitgeber etc. „Man“ ist immer jemand Bekanntes, der oder die dafür sorgt, dass ich nach einem bestimmten Muster lebe, denke und handle. „Man“ hat mich als Kind sehr geprägt und eingeschränkt. „Man“ hat dafür gesorgt, dass ich nicht aus der Reihe tanze, und meinen eigenen Wünschen und Träumen folge. „Man“ hat auch dafür gesorgt, dass ich als Mutter meine Töchter in gewisse Bahnen gelenkt habe, die nicht ihrem Seelenwunsch entsprachen. Auch sie sollten auf keinen Fall aus der Reihe tanzen.

„Man“ erkrankt nicht an Magersucht

Nachdem die Magersucht in unsere Familie gekommen ist, wurde für mich der „man“ immer lauter. Ich entsprach nicht mehr der Mutter, für die alle anderen mich hielten. Ich war doch die, die dafür verantwortlich war, dass unsere Tochter eine Essstörung entwickelt hatte. So kam, was kommen musste. Wir hielten die Erkrankung eine lange Zeit geheim. Es war besonders für mich eine extrem große Anstrengung. Doch die Mühe lohnte sich so lange alle von uns dachten, dass wir die perfekte Familie sind. Gerade am Arbeitsplatz fühlte es sich so an, als wenn ich ein Doppelleben führen würde. Zu diesem Zeitpunkt kam ein weiterer „man“ dazu. Ärzte und Therapeuten verlangten damals von Eltern, dass sie sich auf angemessene Weise verhalten sollten, um die Heilung der Tochter zu fördern. Wie oft biss ich mir auf die Lippen, wenn mir versehentlich ein Kommentar über das Essen oder Gewicht rausrutschen wollte. Wie oft bestrafte ich mich innerlich dafür, dass ich wieder mal den offensichtlichen Blick nicht von ihrem Körper lassen konnte.

Meine Erkenntnis

Auf dem Weg meiner eigenen Heilung habe ich verstanden, dass „man“ mein Leben bestimmte und in Folge das meiner Töchter. Ich habe nie mein authentisches Ich gelebt. Lange Zeit wusste ich nicht einmal was mich selbst ausmacht. Ja, wer ich eigentlich bin. Durch meinen Heilungsweg habe ich sehr, sehr viele „man`s“ erkannt und aufgelöst. Denn alle „man`s“ hatten eine negative Bewertung, die mir das Leben schwer machten.
In meinen Coachings habe ich erkannt, dass alle Frauen die gleichen Erfahrungen gemacht haben wie ich. Auch sie haben sich durch die „man`s“ führen und bewerten lassen. Auch sie haben sich durch sie nie frei gefühlt, sich zurückgehalten gefühlt. Sie sind nie aus der Reihe getanzt! Wie ihre Kinder. Deshalb glauben viele Mütter, dass sie Seite an Seite mit ihrer Tochter gegen die Magersucht kämpfen müssten. Weil man das als gute Mutter macht. Sie schämen sich für das Aussehen ihrer Tochter. Für die Narben der Selbstverletzung auf ihrem Körper. Dafür, dass sie keine Freundschaften pflegen können. Dafür, dass sie sich nicht pflegen können. Dafür, dass sie Einzelgänger sind. Dafür, dass sie wütend sind und laut ausrasten. Dafür, dass sie aus der Reihe tanzen.


Ich bin mir sehr sicher, dass Du das auch von Dir kennst. Und das auch Du unter Deinen „man`s“ leidest. Ich wünsche mir, dass ich Dich mit meinem Beitrag ein bisschen getriggert habe und Du einen anderen Blickwinkel auf Eure Situation werfen kannst. Für Dich und für Dein Kind.


Von Herzen Danke, dass Du diesen Artikel gelesen hast. Vielleicht hast Du Fragen, die Dich selbst betreffen oder meine Arbeit. Vielleicht brauchst Du Unterstützung bei der Umsetzung.  Du kannst mich über das Kontaktformular oder die Kommentarfunktion anschreiben oder meine Kanäle auf Social Media nutzen. Ich freue mich über jede Nachricht.
Herzlichst
Michaela

 

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