Warum Du möchtest, dass Deine Tochter in eine Klinik für Essstörungen geht


Ich fürchte, dass ich mich mit diesem Artikel ganz weit aus dem Fenster lehne und sicher einigen Leserinnen, und ich sage hier ganz bewusst Leserinnen, auf den sogenannten „Schlips“ treten werde. Wie Du sicher bereits weißt habe ich damals die gleiche Einstellung und Meinung zu Klinikaufenthalten gehabt, wie die Eltern in den Selbsthilfegruppen auf Social Media und meine Klientinnen, bevor sie mit mir gearbeitet haben. Ich bin fleißige Mitleserin in diesen Gruppen und mittlerweile schnürt sich mir, beim Lesen der Beiträge der Magen zu. Ich erkenne mich als Mutter einer an Magersucht erkrankten Tochter vor vielen Jahren wieder. Ich spüre den Schmerz und die Hilflosigkeit. Ich sehe mich auf der Suche nach Hilfe für mein Kind.
Die Angst, die Sorgen und der Schmerz in mir waren so groß, dass ich bereit war sie in eine Klinik „zu schicken“. Ohne wirklich zu wissen was dort auf sie zukommt, wie lange sie bleiben muss und wie groß ihre Angst davor wirklich war. Damals waren die Informationsmöglichkeiten über diese Kliniken nicht so gut wie heute. Wir waren im Internet noch nicht so aktiv und Instagram und Co. gab es noch nicht. Die Krankenkasse hat uns eine Liste mit geeigneten Kliniken zugeschickt. Anhand der E-Mail-Adresse haben wir uns über die Kliniken informiert und später nach Aufnahmetermin ausgewählt. Ein großes Kriterium war damals für uns, dass der Aufenthalt in den Sommerferien stattfinden sollte. Schließlich sollte und wollte sie nicht in der Schule fehlen. Als wir dann die Zusage von einer sehr großen Klinik erhielten war ich innerlich sehr, sehr beruhigt. Ich hatte wieder Hoffnung, dass alles gut werden würde. Dass wir endlich die Essstörung hinter uns lassen können. Ich wollte mein altes Leben zurück und diesen schrecklichen Druck und Schmerz in mir loswerden. Ich wollte und konnte einfach nicht mehr. Diese traurige Stimmung, Depression und Tränen. Jeden Tag aufs Neue. Ich konnte es nicht mehr aushalten. Logisch, denn sie war ja mein Spiegel (siehe letzter Blogartikel „Die Magersucht mein Spiegel“), doch davon hatte ich damals absolut keine Ahnung.


Heute habe ich verstanden warum es für Mütter so wichtig ist, dass ihre Tochter in die Klinik geht.


Für die meisten Eltern steht die Magersucht als Krankheitsbild im Vordergrund. Sie sehen nicht, dass die Magersucht das Symptom dieser Krankheit ist (siehe Blogartikel „So sehe ich die Magersucht“). Sie denken, dass ihr Kind in der Klinik das Essen wieder „erlernt“ und dadurch wieder an Körpergewicht zunimmt. Wenn das Normalgewicht erreicht ist, ist Heilung in Sicht. Nach der Entlassung wird eine ambulante Therapie den Rest schon regeln. So oder ähnlich ist die allgemeine Meinung. Wir Eltern sind erst einmal total überfordert mit der Situation der Magersucht in unserer intakten Familie.  Wir sind vor vollendetet Tatsachen gestellt und müssen reagieren. Aus Liebe zu unserer Tochter. Und aus Schutz für uns. Doch das sehen wir nicht. Wir wissen noch nicht, dass unsere Tochter uns spiegelt. Dass sie uns auf unsere Themen aufmerksam macht. Wir spüren nur den Schmerz in uns und finden es als ganz normal „mitzuleiden“. Je länger die Krankheit dauert, je tiefer das Kind sich darin befindet umso schlimmer ist es für uns. Die Magersucht ist eine Möglichkeit der Kontrolle und Struktur für die Betroffenen. Uns Müttern wird durch diese Krankheit unsere eigene Machtlosigkeit gespiegelt. Was zur Folge hat, dass wir uns ein System aufbauen, dass wir kontrollieren können. Damit unser Kind gesund wird oder nicht in ein lebensgefährliches Untergewicht rutscht, beginnen wir damit das Essen, das Gewicht, das Klo, das Zimmer, den Bewegungsdrang etc. zu kontrollieren. Wir holen uns unsere Macht zurück. Eine Macht, die übrigens nie in uns existierte, denn sonst wäre unser Kind nicht krank geworden. Wir sehen den Spiegel nicht, weil wir ihn nicht verstehen. Wir machen unsere Tochter dafür verantwortlich, dass es uns so schlecht geht (natürlich nur in Gedanken), weil wir nicht die Selbstverantwortung für uns übernehmen können. Weil wir es uns nicht wert sind. Weil wir es nie gelernt haben. Weil wir selbst nicht wissen wer wir wirklich sind.  Die Magersucht bedeutet: Ich erlaube mir nicht das Leben erfüllt zu leben. Ich erlaube mir das Gefühl der Fülle nicht. Das ist jedoch nur möglich, wenn ich weiß wer ich bin und was ich wirklich will. Das ist nur möglich, wenn ich mich selbst so anerkenne wie ich bin. Wenn ich selbst die Anerkennung nicht von anderen brauche. Wenn ich liebevoll zu mir bin. Doch das haben wir Mütter von magersüchtigen Töchtern nicht gelernt. Das können wir deshalb auch nicht weitergeben. Und deshalb können wir nur unseren Spiegel spiegeln. Das heißt, dass wir in einem Teufelskreis festsitzen, den wir bewusst nicht wahrnehmen können, weil wir nie davon gehört haben. Nur das schmerzliche Gefühl des Kontrollverlustes und der Machtlosigkeit ist uns bekannt.
Scham, Angst und Sorge gesellen sich dazu und machen das Gefühlspaket unerträglich.


Die Zusage von der Klinik ist wie ein Segen, ein Hoffnungsschimmer am dunklen Horizont.

Endlich wird dem Kind geholfen. Menschen, die sich mit Essstörungen auskennen werden alles dafür tun, dass mein Kind gesund wird. Das waren damals auch meine Gedanken. Ich konnte endlich verschnaufen, mal entspannen, mich den anderen Familienmitgliedern widmen. Ich dachte damals, dass es mir besser gehen würde, wenn es ihr besser geht. Gemäß dem Spiegelgesetz ist es auch so. Doch dafür muss es der Tochter auch erst einmal besser gehen. Sie muss gesund werden wollen. Und zwar tief in ihrem Herzen. Sie muss die Therapie freiwillig machen. Solange wir Mütter einen Widerstand uns selbst gegenüber haben, hat unser Kind diesen Widerstand auch. Solange wir uns nicht aus tiefstem Herzen anerkennen wie wir wirklich sind, wird es unser Kind auch nicht schaffen sich selbst anzuerkennen.  In der Klinik „lernen“ die erkrankten Personen das Essen. Mit Druck und Zwang müssen sie bestimmte Kalorienmengen zu sich nehmen. Sie werden beim Essen kontrolliert und es gibt meistens Belohnungssysteme für erreichte Gewichtsmeilensteine. Von außen betrachtet nehmen die Mädchen schnell zu. Die Heilung wird für Eltern am Gewicht festgemacht. Damit die Seele heilen kann gibt es Therapien und evtl. auch Medikamente. Durch das gestiegene Körpergewicht wird die Gedächtnisleistung normalisiert, die Konzentrationsfähigkeit nimmt zu und die Blutwerte normalisieren sich. Es entsteht der Eindruck, dass unser Kind tatsächlich von der Klinik profitiert hat.


Und schon kurze Zeit nach der Entlassung wird die Stimme der Magersucht wieder lauter.


Selbst die ambulanten Therapien können die Stimme der Magersucht nicht stoppen. Manchmal wird auch alles abgebrochen, pausiert oder ignoriert. Die Betroffenen sind therapiemüde und empfinden „alles“ als sinnlos. Sie haben in der Klinik mit sehr viel Schmerz, Druck und Kraft ihr Entlassungsziel erreicht und kommen wieder in ihr altes Umfeld. Geist und Seele konnten der rasanten Gewichtsentwicklung nicht so schnell folgen. Von Stabilität kann nicht die Rede sein. Der Gewichtserfolg soll unbedingt beibehalten werden. Die Töchter haben in der Klinik eigenverantwortliches Verhalten gelernt und sollen das zuhause auch umsetzen. Sie wollen eigenverantwortlich essen. Sie wollen den Plan einhalten. Doch hat die Mutter das Vertrauen in ihre Tochter? Traut sie ihrem Kind Eigenverantwortung zu? Schafft sie es wirklich die Kontrolle über das Essverhalten und das Körpergewicht ihres Kindes abzugeben?  Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass das in den seltensten Fällen tatsächlich gelingt. Der Kreislauf beginnt und oft schließt sich ein weiterer Klinikaufenthalt an. Doch dazu wirst Du in meinem nächsten Artikel mehr erfahren.


Von Herzen Danke,

dass Du diesen Artikel gelesen hast. Hiermit habe ich die Basis geschaffen für noch viele weitere aufbauende Themen rund um das Thema
„Coaching für Mütter mit einer an Magersucht erkrankten Tochter“
und um mich persönlich. Falls Du Fragen hast, die Dich selbst betreffen oder meine Arbeit kannst Du mich über das Kontaktformular oder die Kommentarfunktion anschreiben oder meine Kanäle auf Social Media nutzen. Ich freue mich über jede Nachricht.
Herzlichst
Michaela

 

 

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Kommentare

Ich freue mich auf eure Kommentare, eigene Erfahrungen und eventuelle Fragen!

Kommentar von Nina

Und der ist WIEDER super und spricht mir aus der Seele...wie Du weißt:-)

Antwort von Michaela Pukrop

Ganz herzliches Dankeschön.

Kommentar von Volker

Leider sind die Kliniken immer noch auf Kontrolle ausgelegt. Kontrolle steht jedoch der Heilung im Weg. Diese geschieht durch Verständnis für die Problematik und Verständnis des eigenen Anteils, der energetisch die Tochter beeinflusst. Dann benötigt es eine Prise Akzeptanz, denn das unterstützt die Heilung. Evtl. muss man sich sagen:
" ICH BIN BEREIT DIE KONTROLLE ZU VERLIEREN; DAMIT HEILUNG GESCHEHEN KANN: ICH BIN MACHTLOS UND ICH LIEBE ES; DOCH WAS ICH NOCH VIEL MEHR LIEBE IST, HEILUNG ZU UNTERSTÜTZEN, INDEM ICH MEINE EIGENEN THEMEN KLÄRE". Dadurch fließt Energie von der Mutter auf die Tochter und das Familienfeld kann heilen.

Antwort von Michaela Pukrop

Von Herzen Danke für Deine wertvollen Anmerkungen. Du sprichst mir aus der Seele. Es kostet die Mütter viel Mut die Kontrolle aufzugeben. Dazu ist ein sehr hoher Leidensdruck nötig. Deshalb melden sich fast alle erst nach einigen Jahren in der Essstörung bei mir.  Doch das gehört mit zum Heilungsweg. Erst dann sind Verständnis und Akzeptanz des eigenen Anteils leichter möglich und Heilung der eigenen Themen kann geschehen.

Kommentar von Christina

Hallo Michaela,
ich lieg gerade am Strand und hab deinen neuen Blogartikel gelesen. Ich hab bei jedem das Gefühl, als als würdest du von mir schreiben. Scheinbar ticken wir Mütter alle sehr, sehr ähnlich. Der heutige bringt mich sehr zum Nachdenken. Ich hab mich ja auch sehr gefreut, dass XXX nach Prien gekommen ist. Mal sehen....

Antwort von Michaela Pukrop

Vielen Dank liebe Christina für Deine Nachricht. Obwohl unsere Geschichten so individuell sind ticken wir doch ziemlich gleich. Das Symptom Magersucht zeigt sich ja auch bei den Mädchen ziemlich gleich und die Ursache ist im großen ganzen auch gleich. Somit erklärt sich auch die gleiche Gedankenstruktur der Mütter.

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