Seitdem meine Tochter an Magersucht erkrankt ist fühle ich mich wie abgestumpft

Mütter mit an Magersucht erkrankten Töchtern fühlen sich nach einiger Zeit wie abgestumpft. Leer, ausgelaugt, taub, benebelt, gedrosselt, gefühllos. Das vorherrschende Gefühl ist Angst und große Sorge, sonst nichts. Ich kenne das auch sehr gut. Ich war immer sehr fröhlich, optimistisch und gut gelaunt. Ich hatte schnell Freudentränen in den Augen und auch Tränen der Traurigkeit. Ich habe die ganze Palette der Emotionen ausleben können. Bis zu dem Zeitpunkt als unsere Tochter an Magersucht erkrankte. Die Diagnose zog mir sozusagen den Boden unter den Füßen weg. Von einer Sekunde zur anderen fiel ich emotional in Schockstarre. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern. Das Einzige, was ich fühlen konnte war mein lauter Pulsschlag in meinen Ohren. Der war so laut, dass ich dem weiteren Gespräch mit der Ärztin nur teilweise folgen konnte. Erst einige Zeit später übermannte mich das Gefühl großer Angst und Sorgen. In meinem Kopf kreisten ununterbrochen Gedanken um unsere kranke Tochter, um ihre Zukunft und darum, was ich tun kann um ihr daraus zu helfen. Ich ging abends mit diesen Gedanken zu Bett und erwachte jeden Morgen aufs Neue mit ihnen.

Durch das Gedankenkarussell konnten meine Ängste und Sorgen nicht zur Ruhe kommen

Immer wieder neue Gedanken um die Krankheit, ihre Zukunft und die Therapieerfolge feuerten meine destruktiven Emotionen nur noch mehr an. Wie ich schon in einigen Beiträgen beschrieben habe steckte ich ja sehr schnell in der „Magersuchtsblase“ fest und konnte schon intuitiv die Stimmung und Qual meiner Tochter spüren. Ihre Mimik, Körperhaltung und Stimmlage las ich wie ein  Buch und ließ mich emotional vereinnahmen. Mein gesamtes System war von der Energie der Angst und Depressivität erfüllt und ich strahlte es auch aus. Meine Mimik, meine Augen und mein Körper verrieten auf Anhieb wie es um mich stand. Tiefe Falten zwischen meinen Augen und dunkle Schatten unter meinen Augen waren nicht mehr zu übersehen. Mittlerweile kamen körperliche Beschwerden hinzu.
Während ich in der Magersuchtsblase feststeckte lief mein Leben trotzdem weiter
Auch wenn ich den Eindruck hatte, dass mit der Diagnose die Uhren still standen, so lief unser Leben trotzdem weiter. Ich war weiterhin berufstätig. Die Arbeit lenkte mich von dem Drama ab, dachte ich jedenfalls. Unsere jüngere Tochter war gerade eingeschult worden und machte große Entwicklungsfortschritte. Wir hatten genug Geld um regelmäßig verreisen zu können und wenn die Stimmung so sehr auf dem Tiefpunkt war machten wir spontan einen Kurzurlaub in Holland. Ich hatte die Vorstellung, dass die „Luftveränderung“ sie auf andere Gedanken bringen würde. Doch weit gefehlt. Die kurzfristige Organisation und der Aufenthalt in den fremden Unterkünften sowie die andere „Essenssituation“ machten rückblickend betrachtet alles nur schlimmer. Ich habe die Magersucht lange an meinem Arbeitsplatz verschwiegen. Langjährige Kolleginnen haben sehr schnell meine Veränderung wahrgenommen und in alle Richtungen spekuliert, was unsere vertrauensvolle Zusammenarbeit schnell beeinflusste. Unsere Partnerschaft hat sich ebenfalls sehr verändert. All diese Faktoren haben dazu beigetragen, dass ich emotional auf Hochtouren lief. Doch nach außen war ich immer darauf bedacht, mir nichts anmerken zu lassen. Mein System war sehr schnell nicht mehr in der Lage diesen großen Schmerz zu kompensieren. So blieb mir auf unbewusster Ebene keine andere Möglichkeit als mich vor allen Emotionen zu schützen.

Ich baute eine Mauer um mein Herz

Nach vielen Jahren des Leidens habe ich mich für ein Coaching entschieden. Zu diesem Zeitpunkt habe ich mich zum ersten Mal mit meinen eigenen Gefühlen auseinandergesetzt. Ich habe mich zum ersten Mal getraut in mich zu fühlen. Doch alles was ich wahrnahm war, dass ich nichts fühlen konnte. Ich habe nur eine Betonwand um mein Herz wahrgenommen. Als ich diese Wahrnehmung zum ersten Mal ausgesprochen hatte, kam es mir sehr merkwürdig vor. Ich konnte mir nicht erklären, wie ich darauf gekommen bin. Außerdem habe ich den Begriff „herzleer“ benutzt. Heute weiß ich, dass ich intuitiv das in Worte gefasst habe, was ich gefühlt bzw. nicht gefühlt habe. Ich habe Bilder gebraucht um mich auszudrücken. Heute weiß ich, dass der Begriff Herzenswand im Bereich der Energiearbeit einen durchaus üblichen Begriff darstellt. Aufgrund von tiefem Schmerz oder Verletzungen kommt es zu unbewussten Schutzmechanismen. Wir “mauern“ unser Herz ein. Wir schützen unser Herz vor weiteren Verletzungen und denken, dass wir dadurch Kontrolle haben. Denn wenn wir uns verletzlich zeigen, fühlen wir uns angreifbar, ausgeliefert und unsicher. Das sind Zustände, die wir als Mutter einer an Anorexie erkrankten Tochter auf keinen Fall möchten. Und so mauern wir mit jeder schmerzlichen Situation, mit jedem angstgeprägten Gedanken eine weitere Schicht um unser Herz. Die Schutzschicht wird immer dicker und dicker. Wir können sicher sein, dass wir dadurch keine destruktiven Emotionen an uns heranlassen. Das gelingt uns mit der Zeit immer besser. Doch dadurch verlernen wir auch zu vertrauen. Wir blockieren unsere Kreativität und Lebendigkeit. Es kommt zu einer gestörten Kommunikation denn das gesprochene Wort klingt unwahr, weil das entsprechende Gefühl nicht transportiert werden kann.

Die Herzenswand sperrt die Liebe ein

Eine weitere Funktion der Herzwand ist, dass all die Liebe in uns und um uns herum ein- bzw. ausgesperrt wird. Sie schützt uns also nicht nur vor Verletzungen von außen, sondern auch vor Liebe, Freude, Spass und Leichtigkeit. So fügen wir uns selbst damit die größte Verletzung selber zu. Wir schützen uns auf unbewusster Ebene vor Leid und Liebe.
Dieser Mechanismus führt dazu, dass wir Mütter uns wie abgestumpft fühlen. Wir sind zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr in der Lage echte Emotionen zuzulassen. Das führt auch dazu, dass die Kommunikation zu unserer Tochter blockiert ist. Wie soll ich einen Umgang, geprägt von Vertrauen und Liebe leben, wenn diese Emotionen nicht gefühlt werden können? Ich habe die Erfahrung gemacht, dass jede Mutter diese Herzwände aufgebaut hat. Und das ist total normal.

Die Herzenswand lässt sich wieder abbauen

Durch einfache Techniken lassen sich diese Herzwände auch wieder einreißen und abbauen. Es ist eine großartige Erfahrung, wenn die Schutzmauer gefallen ist und ein echtes Fühlen wieder möglich ist. Es fühlt sich an als wenn eine Last abfällt. Es ist wunderbar wieder Liebe, Leichtigkeit und Vertrauen zu fühlen und sich authentisch zu zeigen indem das gesprochene Wort durch das passende Gefühl bekräftigt wird. Wir öffnen uns automatisch wieder für die schönen Dinge des Lebens. Können wieder über den Tellerrand der Essstörung hinaus sehen. Die Bereitschaft Freundschaften wieder aufzufrischen und uns selber etwas Gutes zu tun wird zu neuem Leben erweckt. Oft verändert sich auch der Blickwinkel auf die Dinge. Genauso fällt meistens mit der Schutzwand auch die Blockade zu unserer Tochter. Eine Annäherung ist wieder möglich und der Umgang miteinander wird leichter.

Von Herzen Danke, dass Du diesen Artikel gelesen hast. Vielleicht erkennst Du Dich ja in diesem Beitrag wieder und Du hast Fragen, die Dich selbst betreffen oder meine Arbeit. Du kannst mich über das Kontaktformular oder die Kommentarfunktion anschreiben oder meine Kanäle auf Social Media nutzen. Ich freue mich über jede Nachricht.


Herzlichst
Michaela

 




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Kommentare

Ich freue mich auf eure Kommentare, eigene Erfahrungen und eventuelle Fragen!

Kommentar von Nina

Danke.
<3

Antwort von Michaela Pukrop

Sehr, sehr gerne liebe Nina ;-)

Kommentar von Christina

Liebe Michaela! Ich weiß nicht, wie du das machst, dass jeder Blogbeitrag zur richtigen Zeit mit dem jeweils passenden Thema kommt💫! Ein großes Danke🌸

Antwort von Michaela Pukrop

Liebe Christina,

das freut mich wirklich von ganzem Herzen. Vielen Dank dafür, dass Du so fleißig liest.

Ganz herzliche Grüße

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