Gönne Dir Ruhe!

Jetzt fragst Du Dich sicher ob ich es wirklich ernst meine, oder? Du, als Mutter mit einer an Magersucht erkrankten Tochter sollst Dir Ruhe gönnen? Du, die den ganzen Tag beschäftigt ist damit Euer Leben so einigermaßen läuft. Wahrscheinlich bist Du berufstätig, in einer Beziehung und hast vielleicht noch andere Kinder. Vielleicht sogar noch einen Hund? Deine an Magersucht erkrankte Tochter fordert Dich jeden Tag aufs Neue heraus und Du bist pausenlos auf der Suche nach effektiver Hilfe. Dein Motor läuft ununterbrochen auf Hochtouren und lässt Dir gar keine Zeit zur Ruhe zu kommen. Sogar in der Nacht lassen Dich Deine Gedanken, Ängste und Sorgen nicht einschlafen. All das ist mir noch so sehr im Gedächtnis. Ich kann mich immer noch so gut in diese Zeit hineinfühlen.

Ruhe, kam damals für mich gar nicht in Frage

Die Bilder, die Gefühle aus der Zeit, als es mir so schlecht ging, sind gerade jetzt während ich diesen Text schreibe sehr präsent. Ich kann mich noch sehr genau daran erinnern wie getrieben ich mich gefühlt habe. Angetrieben von einem inneren Motor, der mich motiviert hat ständig in Bewegung zu sein. Sowohl körperlich, als auch mental.  Ich war beruflich extrem eingespannt und wenn noch jemand für eine Extraaufgabe gebraucht wurde habe ich mich natürlich gerne bereiterklärt diese auch noch zu übernehmen. Unser großes Haus mit Garten habe ich selbstverständlich auch noch in Schuss gehalten. Damals konnte man bei uns sozusagen vom Fußboden essen. Selbstverständlich war ich auch sehr sportlich. Ich habe mir damals eingebildet, dass ich beim Joggen besser abschalten könnte und bin mindestens 3x pro Woche meine 10 -12 km gelaufen. Während ich für meine Leistungsfähigkeit sehr viel Anerkennung von anderen bekommen habe, blieb in mir alles gleich. Und zwar gleich schlecht, gleich tief, gleich grau, gleich kalt, gleich versteinert, gleich hart, gleich dunkel. Damals hat man mir auf den ersten Blick meine Sorgen nicht angesehen. Ich habe alles dafür getan, dass ich strahlend gut aussah. Wenn ich mir allerdings heute Fotos aus dieser Zeit anschaue, erkenne ich tiefliegende traurige Augen, scharfe Falten um meinen Mund und eine graue Hautfarbe.

Hätte ich mir damals Ruhe gegönnt, wäre aus heutiger Sicht unser Weg leichter verlaufen.

Heute ist mir völlig klar, warum ich mich so gefordert und gefoltert habe. Je mehr ich in Bewegung war, je mehr ich mir aufgeladen habe, umso mehr war ich von unserer Situation abgelenkt. Umso weniger konnte ich auf etwas aufmerksam gemacht werden, was schmerzte. Etwas, was mich persönlich betraf. Etwas, was mich erkennen lassen würde, dass ich die Wurzel der Situation bin. Mein Unterbewusstsein hat mich jedoch nur schützen wollen. Hat dafür gesorgt, dass ich in meiner Komfortzone blieb um die Wahrheit nicht sehen zu müssen. Hat dafür gesorgt, dass ich erfolgreich den Schmerz vermeide.  Denn hätte ich mir damals Ruhe gegönnt. Hätte ich mich regelmäßig zurückgezogen um mit MIR zu sein. Hätte ich mich einfach mal hingelegt, die Augen geschlossen und den Gedanken freien Lauf gelassen. Dann wäre mir im Nachhinein betrachtet viel Schmerz erspart geblieben. Denn, ja wenn wir uns Ruhe gönnen in einer hoch intensiven, schmerzvollen Zeit, dann kommen viele Gedanken in unseren Verstand, die noch schmerzvoller sind. Die uns zwingen, dass wir uns mit uns und der Magersucht unserer Tochter auseinander setzen. Gedanken, die große Angst machen. Angst vor dem Unbekannten. Angst vor der Zukunft. Angst davor, dass wir die Hoffnung verlieren könnten. Angst davor, dass wir die Kontrolle verlieren könnten und uns die Magersucht die Luft zum Atmen raubt. Die Angst vor dem Schlimmsten, was eintreten könnte. Die Möglichkeit, dass wir unsere Tochter verlieren. Schon ein kurzer Gedanke daran zerreißt uns innerlich so sehr, dass der Schmerz unerträglich zu sein scheint.

Was wäre, wenn wir nur einmal mutig genug wären?

Würden wir uns einmal trauen in Ruhe die Augen zu schließen und allen Gedanken, die kommen den Raum geben, den sie benötigen. Dann würden diese Gedanken viele nicht gefühlte Emotionen in uns auslösen. Emotionen, die wir lange erfolgreich weggedrückt haben, weil wir immer befürchtet haben, dass wir es nicht ertragen können sie zu fühlen. Doch wenn wir einmal nur mutig genug sind und all das zulassen. All die Gedanken anschauen und all die Emotionen fühlen, dann entsteht eine Leere. Eine Leere, die mit Erkenntnissen gefüllt werden darf. Vielleicht in Form eines Perspektivwechsels. Vielleicht werden Dir Zusammenhänge klar oder Du erkennst plötzlich Deine Rolle in der Magersucht Deiner Tochter. Du verstehst plötzlich DEIN Verhalten. Siehst Dich als kleines Kind in Deiner Tochter. Siehst die Erwartungen, die an Dich gestellt wurden und die Erwartungen, die Du an Dein Kind hast. Du siehst Dich in Ihr. Du siehst Deine Mutter in Dir. Du fühlst wie schwer es war den Erwartungen DEINER Mutter zu entsprechen oder vielleicht noch ist. Und Du fühlst den festen Entschluss, dass Deine Tochter es einmal leichter haben soll als Du. Du wolltest alles anders machen, doch die Projektionen und Konditionierungen, die wir als Kinder erfahren haben sind immer noch in uns. Schlummern tief und fest in unserem Unterbewusstsein und wirken sich ganz unbemerkt auf unser heutiges Leben und unsere Kinder aus. Auch auf Deines. Es ist ein Geschenk, wenn Du das erkennst und fühlst. Es ist ein Geschenk, wenn Du erkennst, dass Du mehr für Deine Tochter tun kannst als Du jemals gedacht hast.

Es ist ein großes Geschenk, wenn Du mutig genug bist und Dir Ruhe gönnst!

Von Herzen Danke, dass Du diesen Artikel gelesen hast. Vielleicht hast Du Fragen, die Dich selbst betreffen oder meine Arbeit. Du kannst mich über das Kontaktformular oder die Kommentarfunktion anschreiben oder meine Kanäle auf Social Media nutzen. Ich freue mich über jede Nachricht.
Herzlichst
Michaela

 

 

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