Die vergessenen Kinder - Geschwister von magersüchtigen Jugendlichen

Inmitten des Sturms um Dein an Magersucht erkranktes Kind gibt es da oft noch jemanden, leise, stark, verständnisvoll, angepasst.
Ein Geschwisterkind.
Vielleicht hast Du mehr als einmal gedacht: "Ich weiß gar nicht wie sie/er das alles aushält.“
Oder: „Zum Glück funktioniert wenigstens eines meiner Kinder.“
Ich kenne diese Gedanken und diese Situation nur zu gut. Und ich weiß: Sie kommen aus tiefster Liebe. Aus dem Versuch, den Fokus zu halten, dort wo die Not am größten erscheint. Doch möchte ich heute den Blick auf die anderen Kinder lenken. Auf die, die mittragen. Die zurückstecken. Die stark sind, vielleicht zu stark.
Weißt Du, was ich erst sehr spät verstanden habe? Geschwister von magersüchtigen Kindern entwickeln oft eine stille Form des Überlebens. Sie wollen keine zusätzliche Last sein. Sie sehen, wie Du kämpfst, und sagen nichts. Sie spüren die Spannung und den Druck und lächeln trotzdem. Sie sehen, dass Du mit Deinen Kräften am Ende bist.
Sie lernen: Meine Bedürfnisse müssen warten. Und manchmal… zerreißt es sie innerlich.

Der Druck perfekt sein zu müssen....für Dich

Denn auch, wenn sie äußerlich „funktionieren“, besteht eine große Gefahr, dass sie all das, was sie nicht sagen durften, irgendwann auf anderen Wegen ausdrücken. Nicht unbedingt mit einer Essstörung, aber vielleicht mit Alkohol oder Drogen, mit Selbstverletzungen, mit Zwängen oder sozialem Rückzug. Mit einem inneren Druck, immer perfekt sein zu müssen. Nicht weil sie schwach sind. Sondern, weil sie nicht gesehen wurden, in ihrem Versuch, stark zu sein.                                                                                                                                Du Liebe, ich möchte Dich hiermit einladen, auch diesen Schmerz zu sehen. Nicht aus Schuld, sondern aus Verbindung. Öffne Dein Herz auch für dieses Kind. Du schaffst das. Sprich mit Deinem anderen Kind. Sag ihm: „Ich sehe, wie tapfer Du bist.“ „Du darfst wütend sein.“ Es ist okay, wenn Du mich brauchst.“ Manchmal braucht es nur einen Moment der ungeteilten Aufmerksamkeit. Eine Umarmung. Ein Satz, der sagt: „Auch Du bist wichtig.“
Und vielleicht weint Dein Kind dann. Vielleicht sagt es:“ Ich will auch mal krank sein dürfen.“ Und ja, das tut weh. Aber es ist ein heilender Schmerz. Ein Zeichen von Nähe. Vergiss nicht. Auch dieses Kind trägt die Familiengeschichte. Auch dieses Kind spürt Spannungen. Auch dieses Kind braucht Raum, für sich, für seine Gefühle für sein eigenes Werden und Sein. Ganz egal wie alt es ist. Es ist Dein Kind.

Alle tragen die gleiche Familiengeschichte

Wenn wir anfangen, die ganze Familie zu sehen, beginnt echte Heilung. Nicht nur für Dich und das Kind, was sichtbar leidet. Sondern für alle.
Du Liebe, Du gibst täglich so viel. Aber vergiss nicht, auch Deine starken Kinder brauchen Dich. Vielleicht anders, aber nicht weniger.
Ich selbst habe auch zwei Kinder. Zwei Töchter. Auch meine jüngere Tochter war stark. Für mich. Auch sie hat gelitten und zurückgesteckt. Schon mit 5 Jahren war sie selbstständiger als alle anderen Kinder in ihrem Alter. Bis sie keine Hilfe und Unterstützung mehr annehmen konnte. Von niemandem. Bis sie anfing ihren Schmerz auf ihre Weise zu kompensieren. Sie tat es heimlich, um mich zu schützen. Bis es nicht mehr ging. Da war es fast zu spät.
Ich begleite viele Frauen, die Geschwisterkinder haben. Auch diese Kinder kompensieren auf ihre Weise. Meistens heimlich und unauffällig. Einige wurden schwer krank. Dabei spielt das Alter keine Rolle. Auch 20-jährige Geschwister leiden. Still und traurig bis sie es nicht mehr verheimlichen können. Ich möchte Dich mit diesem Beitrag für Deine anderen Kinder sensibilisieren. Möchte Dich motivieren genau hinzusehen. Auch wenn diese Kinder vielleicht beim Vater leben, oder Deine erkrankte Tochter nicht mehr in Eurem Haushalt lebt oder gerade in der Klinik ist. Alles ist Energie und alles wirkt. Immer.

Von Herzen Danke, dass Du diesen Artikel gelesen hast. Vielleicht hast Du Fragen, die Dich selbst betreffen oder meine Arbeit. Du kannst mich über das Kontaktformular oder die Kommentarfunktion anschreiben oder meine Kanäle auf Social Media nutzen. Ich freue mich über jede Nachricht.

Herzlichst

Michaela