Die unsichtbare Macht der Väter

Ich werde immer wieder gefragt, welche Rolle der Vater bei der Entstehung der Magersucht spielt. Ob er immer „fein raus“ sei und alle „Schuld“ nur der Mutter zugeschrieben werden muss? Schließlich sei er auch ein Teil des Familiensystems. Ich habe mit vielen Frauen gearbeitet, die anfangs sehr wütend waren und nicht verstehen konnten, warum ich den Blick in erster Linie auf die Mutter richte und mit ihr allein arbeite, anstatt den Vater miteinzubeziehen. Deshalb möchte ich Dich heute zu einem leisen, ehrlichen Blick auf Deine Situation einladen. Einen, der schmerzen kann und doch heilsam ist.

Über Nähe, Abwesenheit und emotionale Kälte

Väter hinterlassen Spuren. Auch wenn sie nicht da sind. Gerade dann. Viele Frauen erzählen mir, dass sie lange nicht verstanden haben, wie sehr die Abwesenheit des Vaters ihrer Tochter in ihr gewirkt hat. Er war körperlich oft präsent aber innerlich weit weg. Oder er war ganz weg, ohne Erklärung. Oder, vielleicht kennst Du das, er ist da, aber kalt. Kritisch. Ironisch. Nie ganz bei ihr. Nie ganz bei Dir. Und während Du kämpfst, erklärst, redest, schweigst, zieht sie sich still zurück. Zuerst aus Gesprächen. Dann aus Blicken. Dann aus ihrem eigenen Körper. Es ist, als hätte sie innerlich beschlossen: Wenn ich nichts bin, dann kann mich auch niemand mehr verletzen. Kinder spüren die emotionale Wahrheit, auch wenn niemand sie ausspricht. Und sie stellen unbewusst Fragen wie: Bin ich liebenswert, wenn Papa mich nicht sieht? Wenn Mama immer traurig ist, weil er so ist, muss ich sie trösten, indem ich perfekt bin?  Wenn ich verschwinde, bleibt wenigstens kein Streit mehr übrig?

Zwischen den Fronten

Ich weiß nicht, wie Dein Weg mit dem Vater Deines Kindes aussieht. Vielleicht ist er gegangen. Vielleicht ist er geblieben, aber mit verschlossenen Augen. Vielleicht hat er sich entzogen, kontrolliert, kritisiert oder verletzt. Vielleicht hat er gar nichts getan, und genau das war das Schlimmste. Und vielleicht hast Du Dich oft zwischen den Fronten wiedergefunden: Zerrissen zwischen dem Wunsch und dem stillen Wissen: So kann es nicht weitergehen.


Bei uns war es ähnlich. Mein Mann wollte sich immer einbringen, mithelfen, da sein und unterstützen. Doch ich habe schon sehr früh, als unsere Tochter noch ein Baby war, die Zügel in die Hand genommen. Ich war die Managerin, die die den Ton angegeben hat. Ich war komplett in der männlichen Energie. Das, was Weiblichkeit beschreibt, habe ich nicht gelebt und meinem Mann seine Männlichkeit sozusagen nicht erlaubt. Es gab nie Streit oder lauten Ärger. Es lief alles ruhig und unbewusst ab. Wir haben damals die Zusammenhänge noch nicht verstanden. Als die Magersucht in unsere Familie kam, habe ich weiterhin den Ton angegeben und ihm nicht die Möglichkeit gegeben sich einzubringen. Ich hatte immer das Gefühl, dass seine Art mit unserer Tochter umzugehen nicht richtig sei. Das hat dazu geführt, dass er sich immer mehr zurückzog und am Ende aus dem Thema Magersucht raushielt. Viel später, als wir auf dem Weg der Heilung waren, hat er mir erzählt, dass er die Situation zwischen unserer Tochter und mir sehr richtig und objektiv betrachtet hat. Ich war jedoch damals nicht offen für diese Sicht (meine heutige ;-)) auf die Anorexie.

Heilung beginnt

Ich möchte Dir heute sagen: Du darfst die Beziehung zwischen Deinem Kind und seinem Vater ernst nehmen. Auch, wenn er nie ein Wort gesagt hat. Denn Schweigen ist auch Kommunikation. Und Abwesenheit auch eine Form von Einfluss. Du bist nicht schuld daran, wie er war. Aber Du darfst erkennen, wie es gewirkt hat. Und Du darfst anfangen, genau hinzuschauen. Nicht um die Vergangenheit zu ändern, sondern um Deinem Kind eine neue Gegenwart zu ermöglichen. Denn wenn Du beginnst Dich innerlich abzugrenzen, für Dich einzustehen, Deinen Schmerz zu fühlen, dann spürt Dein Kind: Meine Mutter ist nicht mehr nur Opfer. Sie lebt. Sie entscheidet. Sie wird frei.

Unsere Beziehung hat sich durch mein Coaching sehr verändert. Durch meine Transformation konnte ich immer mehr vertrauen. Mir, ihm und unserer Tochter. Ich musste nicht mehr den Ton angeben, um alles unter Kontrolle zu haben. Ich konnte ihn SEIN lassen. Ich habe ihn so lieben gelernt, wie er ist. Er durfte so SEIN, wie er ist. Wir führen bis heute eine Partnerschaft auf Augenhöhe, voller Vertrauen und Liebe. Diese Entwicklung hat sich sehr auf unsere Töchter ausgewirkt. Beide fühlen sich gesehen und geliebt. Sie haben Eltern, die ihre Vorbilder sind. Unsere ältere Tochter ist in einer festen Partnerschaft auf Augenhöhe, voller Vertrauen und Liebe. Auch wir konnten die Vergangenheit nicht ändern. Doch wir haben uns der Situation gestellt. Für eine glückliche Gegenwart.

Und vielleicht, ganz vielleicht, traust Du Dich jetzt auch hinzuschauen. Für Dich und Dein Kind, damit ihr beide zu Euch zurückfinden könnt.
Meine Liebe, Du musst nicht alles verstehen. Du musst nicht sofort alles verändern. Aber Du darfst wissen: Die Beziehung zum Vater, egal wie sie war, hat Spuren hinterlassen. Und jede Träne, jeder Schritt, jede Erkenntnis, die Du heute für Dich gehst, ist ein Licht auf dem Heilungsweg Deines Kindes.


Von Herzen Danke, dass Du diesen Artikel gelesen hast. Vielleicht hast Du Fragen, die Dich selbst betreffen oder meine Arbeit. Du kannst mich über das Kontaktformular oder die Kommentarfunktion anschreiben oder meine Kanäle auf Social Media nutzen. Ich freue mich über jede Nachricht.
Herzlichst
Michaela

 

 

 

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Kommentare

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Kommentar von Johanna

Liebe Michaela,
vielen Dank für deinen aktuellsten Beitrag. Ja, es ist eine Aufgabe sich selbst genauso wie sein Kind zu lieben, wenn es überfordert ist. Es ist eine Aufgabe Wut zu akzeptieren und die Gefühle dahinter zu erkennen und anzunehmen. Es ist eine Aufgabe, die Teile seines Kindes, die nicht sofort kompatibel mit einem selbst sind genauso zu respektieren und anzunehmen, wie die Teile, die als Mutter nicht sofort gut zum Kind passen. Es ist eine Aufgabe sich selbst als ganz individuelle Persönlichkeit wertzuschätzen und das genauso bei seinem Kind zu tun. Zu lernen sich und sein Kind zu lieben, wie wir jetzt gerade im Augenblick sind. Danke für Deinen Beitrag. Er unterstützt mich auf meinem Weg, meine Tochter so anzunehmen wie sie gerade ist.
Liebe Grüße

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