Meine Tochter ist an Magersucht erkrankt – also muss ich alles tun um sie zu retten!

Nachdem uns Eltern damals die Diagnose „Magersucht“ mitgeteilt wurde brach für uns eine Welt zusammen. Unsere heile Familienwelt. Vater, Mutter und zwei richtig tolle Töchter. Wir haben in unserer freien Zeit viel miteinander unternommen. Wir haben zusammen gespielt, Filme angeschaut, sind oft in den Urlaub gefahren und haben großartige Kindergeburtstage gefeiert. Alles drehte sich nach unserem Arbeitstag um die Familie. Und genau dieses Konstrukt brach plötzlich in sich zusammen. Peng!! Mit diesem einen Satz aus dem Mund einer Psychologin änderte sich unser ganzes Leben. Nach einer kurzen Schockstarre habe ich den Entschluss gefasst, dass ich alles dafür tun werde um sie zu retten. Ich wollte dafür sorgen, dass diese Krankheit so schnell wieder verschwand wie sie in unser Leben gekommen war.  Die Chancen standen gut, schließlich befand sie sich ja gerade erst am Anfang der Erkrankung. Ich musste nur dafür sorgen, dass sie genug aß.

Wir kämpfen gemeinsam gegen die Magersucht!

ICH habe damals beschlossen, dass wir gemeinsam gegen die Magersucht kämpfen. Ich lasse Dich nicht alleine. Wir schaffen das gemeinsam. Ich bin immer für Dich da. Ich liebe Dich. Ich bin an Deiner Seite. Ich halte Dich. Ich pushe Dich. Ich unterstütze Dich. Ich zieh Dich da raus. Ich trockne Deine Tränen. Ich spreche mit den Lehrern. Ich schaue nach geeigneten Psychologen. Ich suche Dir eine Ärztin, die Dich versteht. Ich möchte nicht, dass Du in eine Klinik gehst. Ich suche eine Klinik, die Dich in den Ferien aufnimmt. ……….. und so weiter. Ich kämpfte wie eine Löwin, für mein geschundenes kleines Löwenmädchen. Ich kämpfte ohne mich nach rechts oder links umzusehen. Ich schaute dem Feind fokussiert in die Augen, stürmte auf ihn zu, um ihn dann zu erlegen. Doch alle Versuche liefen ins Leere. So sehr ich mich auch bemühte. So viel Kraft und Energie ich investierte. Ich konnte gegen die Magersucht nichts ausrichten. Ich konnte sie nicht greifen. Sie ließ sich absolut nicht greifen. Sie war mir immer einen Schritt voraus.

Kämpften wir wirklich gemeinsam?

Wenn ich damals, zu Anfang der Erkrankung, gewusst hätte, dass sich unsere Situation 5 Jahre lang nicht verändern würde, hätte ich es nicht für möglich gehalten. Wenn mir jemand unseren Weg vorausgesagt hätte, hätte ich alles dafür getan um das Gegenteil zu beweisen. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass ich so eine lange Zeit so viel Kraft und Energie aufbringen kann. Heute, viele Jahre später weiß ich, dass ich es konnte. Und ich weiß auch, dass ich es mir hätte sparen können. Rückwirkend betrachtet ist all die Kraft und Energie ins Leere gelaufen. Sie hat ihr Ziel ganz klar verfehlt. Zumindest das bewusst gewählte Ziel. Die Magersucht. Doch sinnlos waren meine Bemühungen nicht, denn sie haben ein unbewusstes Ziel verfolgt. Das Ziel mich zu beschäftigen, damit ich die Ohnmacht nicht ertragen muss. Denn niemand führt einem die eigene Ohnmacht so deutlich vor Augen, wie ein magersüchtiges Kind. Da stellt sich die Frage: Kämpfen wir wirklich GEMEINSAM gegen die Magersucht? Können Mutter und Tochter in dieser Krankheit für das gleiche Ziel kämpfen? Vielleicht……doch sicher nicht so, wie ich es mir 5 Jahre lang vorgestellt habe. Heute weiß ich, dass Mutter und Tochter die gleichen limitierenden Glaubenssätze und Selbstüberzeugungen haben. Beide leben mit einem geminderten Selbstwert, der sie, jede für sich, auf ihre eigene Art kompensieren lässt. Auf den ersten Blick kompensiert die Tochter am offensichtlichsten indem sie die Magersucht entwickelt hat.

Plötzlich dreht sich alles nur noch um Essen

Es geht nie nur um Essen bei der Magersucht! Der eigentliche Kern der Erkrankung liegt viel tiefer. Doch das Paradoxon ist, dass es in der Familie plötzlich nur noch ums Essen geht. Der Kampf mit dem Essen beginnt ab der Diagnosestellung. Die ärztliche Diagnose erzeugt in uns Müttern einerseits einen tiefen Schmerz, andererseits schafft sie auch Klarheit und Sicherheit. Alle Mutmaßungen und Befürchtungen haben nun ein Ende. Aus Unsicherheit wird Sicherheit. Doch diese Sicherheit ist eine Scheinsicherheit, denn nun kommen neue Befürchtungen und Ängste, die wiederum für große Unsicherheit sorgen. So wie die Tochter verlorene Sicherheit über die Kontrolle von Essen und Körpergewicht zu erlangen versucht, so findet die Mutter Sicherheit über die Kontrolle des Essverhaltens und des Körpergewichts der Tochter. Je mehr sich die Mutter einmischt umso schlimmer wird es für die Tochter. Diese findet immer neue Ausreden und Tricks um die Mutter zu manipulieren. Findet die Mutter heraus, dass die Tochter sich aus ihren Kontrollmaßnahmen herauswindet, gerät diese in einen schmerzvollen Zustand von Machtlosigkeit.

Mutter und Tochter kämpfen beide für das Gefühl der Sicherheit

So kämpft jede für sich ihren eigenen Kampf. Beide mit der bewussten Absicht, dass die Tochter die Magersucht heilt. Doch die unbewusste Absicht der Sicherheit durch Kontrolle ist stärker und überwiegt. So triggern sich Mutter und Tochter fortwährend und nähren die Krankheit anstatt sie zu heilen. Ein endloser Kreislauf von Bemühungen und Enttäuschungen ist in Gang gesetzt ohne Aussicht auf Unterbrechung. So verbrachte ich 5 schmerzvolle Jahre. Wir waren 5 Jahre in dem Kreislauf gefangen und haben die ganze Familie mit hineingezogen. Heute rückwirkend betrachtet waren diese Jahre nicht sinnlos für mich und uns als Familie. Wir haben sie gebraucht um aus unserem unbewussten, perfekten Leben aussteigen zu können. Wir haben die Zeit gebraucht um zu erkennen, dass der tiefe Kern der Magersucht schon lange in meiner Familie existierte, dass die Themen des tiefen Kerns sich in unserer weiblichen Ahnenlinie vererbt haben und nun durch unsere Tochter sichtbar wurde. Erst als ich das verstanden habe konnte ich diesen Kreislauf des Nährens der Magersucht unterbrechen. Ich habe an den Themen gearbeitet, die dafür gesorgt haben, dass die Erkrankung entstehen konnte. So war es für mich möglich den Kreislauf zu verlassen. Durch meinen Rückzug konnte unsere Tochter endlich für sich die Verantwortung übernehmen und ihren Heilungsweg beginnen.

 

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Herzlichst

Michaela

 

 

 

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